Awwwards

196 Jahre Thonet

Portrait eines Vorreiters

Bugholz Bugholz
Text: Sara Umbreit, Fotos: Thonet Archiv, Werner Blaser

Möbelstücke, die uns heute umgeben, sind nicht immer Ergebnisse moderner Designkunst, sondern oftmals Anlehnungen an Klassiker vergangener Tage...

Was heute wiederentdeckt wird, sind oft Klassiker, die zu neuem Leben erweckt und wieder in unseren Fokus gerückt werden.

Thonets bahnbrechende Modelle mussten nie zu neuem Leben erweckt werden. Das gesamte 21. Jahrhundert über waren sie Teil - oder eher Wortführer - internationaler Designkultur. Klassiker wie der "214" finden noch immer stolzen Platz in öffentlichen und privaten Räumen. Wir möchten die spannende Geschichte eines der ältesten Möbelhersteller der Welt erzählen..

Panama Restaurant , Foto: Sara Umbreit

Thonet - seit fast 200 Jahren steht der deutsche Möbelhersteller für höchste Qualität, Innovationsgeist und Eleganz. Dabei hat das Unternehmen nicht nur durch seine Formensprache Weltruhm erlangt, sondern auch als Pionier in der Industrialisierung Geschichte geschrieben.

1819 eröffnet der Kunsttischler Michael Thonet in Boppard am Rhein seine Werkstatt, in der er mit verschiedenen Holzbiegetechniken experimentiert. Während andere Hersteller noch Silhouetten vergangener Zeiten mit Drechsel- und Schleifmaschine nachahmen - erfindet Thonet ein Verfahren, bei dem Schichtholz mittels Dampf und Druck in eine geschwungene Form gebracht wird. Um 1830 gelingen Thonet erste, fertige Entwürfe, die ihm Aufmerksamkeit von Fürst Metternich - Außenminister Österreichs und führender Staatsmann Europas - schenken. Dieser holt ihn samt seiner Familie 1842 nach Wien, wo er sich 1849 mit seinen vier Söhnen erneut selbstständig macht und das Palais Lichtenstein, das Palais Schwarzenberg, sowie das Café Daum mit seinen Möbeln ausstattet.

1859 gelingt Thonet der bahnbrechende Durchbruch mit dem Wiener Kaffeehausstuhl „Nr.14“ (heute „214“). Das neuartige Verfahren, bei dem massives Buchenholz gebogen wird und die Einzelteile des Stuhls anstatt durch Verleimung ineinander geschraubt werden, ermöglicht eine Serienproduktion, die platzsparend verpackt und verschickt werden kann. In einer Kiste mit einem Kubikmeter Volumen passen 36 zerlegte Exemplare. Der „Nr.14“ ist der erste industriell gefertigte Stuhl und katapultiert den Möbelhersteller zu einem Weltunternehmen. Die Typisierung und Serienherstellung ermöglichen zudem moderate Preise. Bis heute hat sich der Stuhl international über 50 Millionen mal verkauft - Plagiate nicht einbezogen. Er wird im 19. Jahrhundert zum Symbol neuer Verfahrens- und Produktionstechnologie - ein Produkt eines neu angebrochenen Zeitalters.

Thonet erfüllt seine Aufgabe als internationaler Möbelhersteller fortan gekonnt und seiner Zeit weit voraus. Jährlich erscheinen Kataloge, es wird weltweit exportiert. Thonet Möbel finden sich sowohl in wohlhabenden Herrenhäusern, als auch in New Orleans´ Seitenstrassen oder auf den Veranden brasilianischer Kautschukbarone.

Bereits in den 1870er Jahren unterhält Thonet Verkaufsniederlassungen weltweit. Ob in Hamburg, Frankfurt, Barcelona, Brüssel, New York, Chicago, Rom oder Moskau. Thonet steigt noch vor 1900 zum Global Player auf. Eine beispiellose Erfolgsgeschichte, der nicht zuletzt auch kaufmännisches Können mit Weitblick zugrunde liegt.

Nach dem „Nr.14“ folgen weitere Bugholz-Modelle, die es ebenfalls auf die Liste historischer Designikonen schaffen: Der Schaukelstuhl „Nr.1“ (1860), die Modelle „Nr.18“ und „Nr.56“ (Ende 19.Jahrhundert) und der elegante „209“ mit geschwungenen Armlehnen (1900). 1904 kreiert Otto Wagner den Jugendstilsessel „247“.

Der berühmte Architekt Le Corbusier bewundert den Urtyp des Bugholzstuhls und schwärmt über den „209": „Noch nie ist Eleganteres und Besseres in der Konzeption, Exakteres in der Ausführung und Gebrauchstüchtigeres geschaffen worden.“

“Never has there been a better or more elegant design, in all its execution, usefulness and proficiency.” - Le Corbusier of the 209

Zwischen 1857 und 1889 lassen die Gebrüder Thonet nach den Plänen ihres Vaters insgesamt sieben Produktionsstätten bauen. Fünf davon befinden sich in Gebieten Osteuropas. Die siebte und bis heute letzte eröffnete Produktion befindet sich in Hessen, in Frankenberg - dem heutigen Hauptsitz des Herstellers.

Den Höchststand in der Produktion erreicht Thonet erstmals im Jahr 1912. Über 2 Millionen Artikel stellt das Unternehmen her und verkauft sie weltweit. Bis zum Beginn des ersten Weltkriegs bringt das Unternehmen 1400 unterschiedliche Produkte auf den Markt. Darunter auch Puppenstuben und Tennisschläger.

Des Geschichte Schreibens nicht genug, eignet sich das Unternehmen Ende der 1920er Jahre die neuartige Technik des kaltgebogenen Stahlrohrs aus der Bauhausbewegung an und produziert in den 1930er Jahren in Frankenberg als weltweit größter Hersteller Entwürfe mit Stahlrohrelementen berühmter Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe (Freischwinger „S 533“), Mart Stam („S 33, „S 43“), Marcel Breuer („S 32“ / „S 64“, Beistelltisch „B 9“, Loungesessel „S 35“), Charlotte Pérriand, A. Guyot und Le Corbusier. Deren Modelle sind in die Design- und Architekturgeschichte eingegangen und gelten heute als Meilensteine des 20. Jahrhunderts. Durch das Wirken Thonets erhält das Stahlrohrkonzept eine ganz neue Reichweite. Berühmte Avantgardisten wie Josef Hoffmann, Adolf Loos und der Schweizer Architekt Le Corbusier sind schon damals große Anhänger des Möbelherstellers, der in seiner Geschichte Mut zur Innovation und Pioniergeist mit höchstem Anspruch an Qualität bewiesen hat.

Foto: Werner Blaser

Bis heute besitzt die Thonet GmbH in Deutschland und anderen Ländern der Welt die Markenrechte „Thonet". Historische Thonet Möbel erzielen in internationalen Auktionen Höchstpreise.

Der Zweite Weltkrieg zwingt Thonet schließlich in die Knie und der Hersteller verliert seine Produktionswerke in Osteuropa durch Enteignung. Die Vertriebsstätte am Stephansplatz in Wien ist komplett zerstört, sowie auch das Werk in Frankenberg, welches der Urenkel Michael Thonets zwischen 1945 und 1953 jedoch wieder aufbaut. Als anschließend der wirtschaftliche Aufschwung kommt, sucht das Unternehmen erneut nach herausragenden Gestaltern. Die Liste der Entwerfer der letzten 60 Jahre Thonet-Geschichte ist lang und der Tradition entsprechend hochkarätig. Darunter zu finden sind Namen wie Egon Eiermann, Hanno von Gustedt, Pierre Paulin, Ulrich Böhme, Verner Panton, Hartmut Lohmeyer, Eddie Harlis, Alfredo Häberli, Lord Norman Foster, Rudolf Glatzel, Gerd Lange, Wulf Schneider, Christophe Marchand, Delphin Design, Lepper Schmidt Sommerlade, Glen Oliver Löw, Piero Lissoni, Lievore Altherr Molina, Badi Teherans, James Irvine, Stefan Diez, Läufer + Keichel - um nur einige zu nennen. Thonet lebt zudem auch von den herausragenden Ideen seines werkeigenen Designteams, welches mit neuen Entwürfen das Portfolio stets vielseitig erweitert.

Text: Sara Umbreit