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Linda Ehrl

Die Sucht nach dem Visuellen

Fotos: Julia Grossi, Text: Sara Umbreit

Oft sind es die ungeraden Lebensläufe, die einen selbst und andere inspirieren. Nicht nur einer Linie zu folgen, sondern den Mut und die Neugier zu besitzen, Neues zu beginnen und Leidenschaften eine Chance zu geben...

Diese entdeckt man nicht immer gleich schon während der Studiumsphase oder nach dem ersten Jahr im Job. Offen zu sein, für neue Interessen, die sich während des Weges auftun - macht das eigene Gesamtwerk viel individueller und facettenreicher - blickt man auf das eigene Schaffen später zurück.

Linda Ehrl ist viel rumgekommen, hat sich beruflich ausprobiert und ihr Feld immer wieder erweitert in dem sie sich bewegt.
Ihre Abzweigungen und ihr Mut sich in Neuem zu etablieren, tragen heute Früchte und Ihre Arbeit ist in vielen Projekten - egal ob kommerzieller Art, Digital oder Real - von Fashion Shoots über Printwerbung bis hin zu Set-Designs - gefragt.
Konzepte verbindet sie mit Spontanität und ihrer Intuition.

Nach einem Mode-Design Studium 2001 in Berlin, verlässt sie erstmal die sich im Aufwind befindende Hauptstadt und geht - ganz klassisch - nach Paris. Während ihrer Arbeit im Atelier Vernoux, wo sie Haute Couture-Stickereien für die Fashion Shows von Ungaro, Chanel, Prada, Dior und Karl Lagerfeld entwirft, entdeckt sie ihre Liebe zum Detail.
Sie steigt weiter auf in der Stadt der Mode und arbeitet schließlich im Textil- und Grafikteam für Chloé International und wirkt an den Kollektionen mit.

2004 verlässt sie dann Paris und startet ihre Stylingkarriere als Fashion Editor für das Sportswear International Magazine in Mailand.

Zwei Jahre später ist sie zurück in Berlin und übernimmt für die Publikationen der Bread & Butter die Modedirektion.

Ab dem Zeitpunkt profitieren bereits andere Projekte, wie das Highsnobiety Magazine und das Freestylemagazine.uk, von ihren Erfahrungen in der Fashionwelt und lassen sich in der Entwicklung und im Marketing von Linda Ehrl beraten.

Seit 2008 arbeitet die studierte Fashion Designerin nun von Berlin aus freiberuflich als Art Director und Stylistin. Ihr Interesse und Können hat sie in den Jahren auch auf den Interior Bereich ausgeweitet - den sie neben der Mode für sich entdeckt hat. Vom praktischen Entwurf im Fashionbereich hat sie seitdem abgelassen - jedoch nutzt sie den gestalterischen Aspekt beider Disziplinen gern in ihren Projekten - denn das Styling - egal ob Mode oder Dekoration- hat es ihr angetan.

Foto: David Burghardt, FvF Productions

Sara: Du kommst eigentlich aus dem Fashion Bereich - woher kam das Interesse auch im Bereich Interior zu arbeiten?

Linda: Ich habe einfach eine hohe Affinität zu schönen Dingen. Ja, ich hatte Fashion Design gelernt. Habe aber dann 5 1⁄2 Jahre als Modejournalist und als Stylistin für internationale Modemagazine gearbeitet. Als Fashion Editor ist man mit der Hauptverantwortliche für die Konzepte und Umsetzung aller Modestrecken.
Das heißt ich habe mich auch jeweils um das Thema, die Locations, Settings, Props usw gekümmert. Mir war immer die gesamte Komposition wichtig. Deshalb hat es mich dann als freie Stylistin etwas gelangweilt nur ans Set gerufen zu werden, und nicht schon vorher beim ganzen Konzept dabei sein zu können.
Ich habe dem Universum (lacht) und Freunden in der Branche mitgeteilt, dass ich mehr in Richtung Art Direction gehen will, und dann kam eins nach dem anderen auf mich zu. Angefangen beim Visual Merchandising und Propsstyling bis über die komplette Art Direction für Werbedrehs, Messestände und Events. Nach und nach kristallisierte sich heraus, dass mich speziell die Interior Branche sehr interessiert und ich meine Liebe zu moderner Einrichtung und deren Geschichte kennengelernt habe.
Ich hatte sogar eine Zeit, in der ich mich nur auf Interiorprojekte konzentrierten wollte. Aber dann liebe ich wieder die Abwechslung und die Synergien verschiedenster Themen und freue mich über Anfragen, die ich mir vorher nicht hätte vorstellen können. Ich finde es toll, wenn man mit Menschen zusammenarbeiten kann, die eine ähnliche Ästhetik und die gleiche Sucht nach dem Visuellen haben wie ich.

Foto: David Burghardt, FvF Productions

Sara: Woher nimmst du deine Inspirationen für deine Projekte - und bedienst du dich bewusst unterschiedlicher Quellen wenn es um Interior anstatt Fashion geht?

Linda: Als ich anfing mich mehr für Interior zu interessieren, habe ich gerade in New York gelebt und mich hat besonders inspiriert, wie Interior an öffentlichen Orten, wie Restaurants, Hotels, Gallerien, Fashionstores etc umgesetzt wird. Diese Inspirationen habe ich lange in meine Projekte einfließen lassen. Zur Zeit inspirieren mich am meisten Projekte, welche Interior und Fashion verbinden. Deshalb liebe ich es, zur Salone di Mobile Designwoche nach Mailand zu fahren. Mailand hat einen unglaublich tollen Anspruch an beides. Durch die lange Tradition beider Branchen verbindet die Stadt sie sehr elegant und natürlich. Auch Filme, Tanz, Musik, Kunst und Bücher inspirieren mich. Alles was Welten erzählen kann, mich in diese entführt und dazu noch visuell kickt. Manchmal träume ich ganze Settings und zeichne und notiere mir dann alles auf. Dazu sammle ich auch Moods, eigene Fotos, recherchiere Bilder, früher viel in Magazinen, heute meist online. Ich lebe für Moods! Ein Bild kann so viel erzählen.
Deshalb ist mir bei meinen Projekten auch das Allerwichtigste, dass mein visueller Anspruch gedeckt wird. Das heißt für mich, dass das Ergebnis so toll und rund ist, dass es anhand von Fotos oder Film eine neue und schöne Ergänzung für meine Website ist. Ich muss es mir im Nachhinein immer wieder anschauen wollen.

Sara: Welchen Trend sagst du im Bereich Interior Dekoration voraus?

Linda: Schwierige Frage. Es gibt viele Stile, die alle ihre eigenen Trends entwickeln. Wie schon erwähnt, inspiriert mich derzeit am meisten italienisches Interior Design der vergangenen Jahrzehnte.
Das können kitschige Vasen von Ettore Sottsass sein, oder von Hand bemalte Tapeten à la Casa di Piero Portaluppi. Genauso liebe ich z.b. so eine Kombination von: Baumhaus auf Bali eingerichtet mit Roche Bobois Sofas.
Sehr interessant finde ich auch was sich in der Designszene in Belgrad und Prag tut. Ich ziehe Deko vor, die einen vintage Charakter hat, wirklich alt oder neu mit zeitlosem Design ist. Ich liebe Holz erkennbar als Holz! Das wird immer wieder Trend sein.
Schönes, echtes, gelebtes Holz kann als Detail, oder auch als grösseres Objekt jeden Kitsch downgraden.
Ich verbinde gern verschiedenste Stile miteinander, um so etwas Neues und Unikates zu erhalten. Bei einem Einrichtungsjob stelle ich mir die Person vor, die dort lebt und mit der Deko etwas Persönliches verbindet. Manche meiner Kollegen und Auftraggeber, sagen, ich "hauche den Dingen Seele ein."

Fotograf: Robbie Lawrence, FvF Productions

Sara: Welche Basics sind für dich sowohl im Kleiderschrank als auch zu Hause in deiner Wohnung unerlässlich?

Linda: Meine Lieblingsbasics sind meine diversen Blue Jeans, ein weißes T-shirt, mein Isabel Marant Admiralsblazer und meine geliebten Acne Pistol Boots! Bei meiner Einrichtung sind es ein paar Industriehocker, große, schöne Mode-, Kunst- und Designbücher, Designtoys, Pflanzen, Bilderrahmen und Decken. Diese Dinge lasse ich immer wieder in meinen Jobs auch als Deko miteinfließen.

Sara: An welchen Interior Projekten arbeitest du zur Zeit?

Linda: Gerade kümmere ich mich unter anderem um das Art Department und das Fashion Styling bei einem Dreh für einen Fashion Online Shop. Eigentlich die perfekten Synergien: Es gibt einen realen Interior Aspekt und einen Set Design Bereich, der etwas Surreales reinbringt. Und dann natürlich dazu Fashionstyling mit Visual Merchandising.
Ich finde es spannend und wichtig, dass man bei jedem Job etwas dazulernt und er meinen Horizont in irgendeiner Weise erweitert.

Sara: Welches Wunschprojekt würdest du gern selbst realisieren?

Linda: Ich habe viele Wunschprojekte im Kopf.
Da wäre eine Zusammenarbeit mit Wes Anderson und Roman Coppola (lacht). Ja, ein Designfilm! Ich würde gerne mal bei einen Kurz- oder sogar Langfilm die komplette Art Direction, das Art Department und Das Styling übernehmen, insofern diese beiden Themen wichtige Aspekte für den Film sind.
Ich wünschte jemand würde mir ein eigenes Schaufenster anbieten, was ich je nach Lust und Laune und Inspiration immer wieder neu inszenieren kann. Mal mit Mode, mal eine Installation, oder eine Kooperation. Und sonst würde ich gerne mal ein komplettes, aber kleines Hotel ausstatten. Und das würde ich auch gern selbst besitzen und ihm Seele einhauchen (lacht)!

Text/Interview: Sara Umbreit